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braucht koa Mensch!, Parallel-Universum

Homöopathietage Traunstein – Gemeinsam Unsinn verbreiten.

Vor etwa einem Monat, am 18. Juni schrieb das Traunsteiner Tagblatt einen Artikel über die bevorstehenden Homöopathie-Tage in Traunstein. Wer sich noch erinnert, die Veranstalter sind die selben, die vor 10 Jahren versucht haben eine Universität für die Pseudomedizin Homöopathie* in Traunstein ins Leben zu rufen. Die Stadt Traunstein hatte sich damals mit ihrem Bemühen um ein „Hogwarts an der Traun“ in die internationale Presse geschrieben, dort mit diesem Schildbürgerstreich für allgemeine Erheiterung gesorgt. Dem Partner, der Steinbeis-Uni Berlin wurde es 2014 zu peinlich und sie ist aus dem gemeinsamen Projekt ausgestiegen.

Mittlerweile wurde Homöopathie in Deutschland aus vielen Universitäten vertrieben, einfach weil es Unsinn ist. Die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ wurde bei den meisten Ärztekammern in Deutschland gestrichen.

Weniger peinlich sind solche Dinge offensichtlich dem Bügermeister von Traunstein, Herrn Christian Hümmer. Der hat es sich nicht nehmen lassen, die ganze Schwurbelei der Homöopathietage seine womöglich etwas alufolierte Schirmherrschaft anzutragen.
Unter dem Deckmantel „Homöopathie“ war noch viel mehr vertreten, was die Esoterik-Bubble im Chiemgau forciert, bspw. EM- Effektive Mikroorganismen. Bitte schaut euch das an, was da für Unsinn dahinter steckt.

Furchtbar finde ich in dem Zusammenhang auch, dass dafür offensichtlich der „Campus Chiemgau“ seine Räume zu Verfügung gestellt hat, einem Zusammenschluss der Technischen Hochschule Rosenheim, der Industrie- und Handelskammer, des Landkreises Traunstein etc.. Das sind so vollkommen absurde Verflechtungen, wie es sie fast nur im durchgeknallten Chiemgau geben kann. Ich möchte hier dazu aufrufen, sprecht diese Leute darauf an, fragt sie welchen Delphin sie da wieder geritten sind, oder welches Einhorn da wieder gesattelt wurde. Ich werde selbst zu dem Thema auch noch einmal etwas schreiben.

Jedenfalls, auf der Facebook-Seite des Traunsteiner Tagblattes zu diesem Thema ging es hoch her, die Homöopathie hat offensichtlich auch im Chiemgau viel an Zuspruch verloren, vielleicht nicht zuletzt durch die vielen Aluhut-tragenden Corona-Leugner in ihren Reihen. Das Leugnen von Realitäten, und das hinterher scheinargumentative Auffüllen mit Verschwörungsgeschichten, das haben ja bekannter Maßen Pseudoheilkundler und „Querdenker“ gemeinsam. Darüber hatte ich hier und hier und hier Artikel geschrieben.

Udo Endruscheit, Mitglied des INH, forderte das Traunsteiner Tagblatt in Facebook auf, seriös zu berichten, weil Homöopathie „keine medizinische Relevanz“ hat, „sondern ein Schadenspotenzial, weil es die Menschen glauben lässt, sie könnten allen Ernstes durch Einnahme von Zuckerkugeln einen gesundheitlichen Benefit erfahren. Geradezu perfide ist die Einbettung solcher Homöopathie-Propaganda in ein Umfeld von allerlei anderem gesundheitsbezogen aufgeladenem Lifestyle und vor allem in einen naturheilkundlichen Kontext.“

Das Tagblatt schlug Udo vor einen Leserbrief zu schreiben, der vergangene Woche in der gedruckten Auflage erschien. Das ist zwar jetzt nur die zweitbeste Lösung, weil es die Notwendigkeit von Evidenz und Fakten von der Redaktion auf die Leserschaft überträgt. Aber manchmal, gerade in Traunstein, ist man ja schon mit kleinen Dingen zufrieden. Jetzt, nach erfolgtem Abdruck, darf ich hier auch mit Udos Genehmigung seinen Leserbrief in voller Länge ins Netz stellen. Das Tagblatt hatte ihn noch ein bisschen gekürzt.

Leserbrief an das „Traunsteiner Tagblatt“ am 22.06.2022


Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich nehme Bezug auf Ihre Berichterstattung »Gemeinsam die Gesundheit stärken«: 7.Traunsteiner Homöopathietage im Campus Chiemgau vom 18.06.2022. Diese Veranstaltung sehe ich kritisch, wie ich bereits auf Ihrer Facebook-Seite zum Ausdruck gebracht habe. Gern entspreche ich Ihrem dort geäußerten Wunsch, meine Kritik in einem Leserbrief zu konkretisieren. Dieser fällt sicher etwas lang aus, gleichwohl ist er auf das Wesentliche beschränkt.

Wo liegt das Problem? Das „Framing“ der Veranstaltung, das Umgeben des Homöopathiethemas mit allerlei durchaus respektablen Gesundheitsthemen, geht auf sehr grundlegende Weise fehl. Und zwar deshalb, weil dort der Homöopathie mehr oder weniger subtil nicht nur Glaubwürdigkeit verschafft wird, sondern dies auch noch im Kontext von Naturheilkunde, insbesondere Phytotherapie, und durchaus sinnvollen Tipps für die persönliche Gesundheitsprävention.

Warum ist das kritisch zu sehen? Nun, Homöopathie hat mit Naturheilkunde nichts, wirklich nichts zu tun. Während letztere auf der Einwirkung realer Dinge in und aus der Natur (Licht, Luft, Sonne, Wasser, Pflanzenauszüge) beruht und durchaus nachweisbar gesundheitlich positive Wirkungen erzielen kann, trifft all dies auf die Homöopathie nicht zu.
Homöopathie ist ein extrem künstliches (artifizielles) Gedankengebäude von Samuel Hahnemann. Es gibt keinen Grund, sie als „natürlich“ zu verklären, vielmehr ist es nötig, deutlich abzugrenzen. Wichtig zu wissen ist auch, dass Hahnemann der Pflanzenwelt durchaus keine besondere Stellung in seinem Universum einräumte, potenziell sah er jegliche Form von Materie (z.B. auch tierischen oder mineralischen Ursprungs) als homöopathisch verwendbar an. Die heutige Fixierung auf „pfanzlich“ ist ein Marketingergebnis.

Homöopathie beruht auf zwei Grundprinzipien, die beide der Natur geradezu entgegenstehen: dem Ähnlichkeitsprinzip und der Wirkungszunahme von Stoffen durch die sogenannte Potenzierung.
Ein als Regel anwendbares Ähnlichkeitsprinzip ist der Naturwissenschaft unbekannt. Wäre es nicht so, würde sich die Medikamentenentwicklung unendlich vereinfachen. Jedoch ist „Ähnlichkeit“ nur sehr selten (wenn überhaupt) etwas Objektives, sondern etwas, das sich in der menschlichen Wahrnehmung und den mit ihnen verbundenen Bedeutungszuschreibungen manifestiert. Walnüsse mögen an die Struktur eines Gehirns erinnern, Bohnen an die Form von Nieren. Ihnen deshalb einen Bezug auf menschliche Anatomie und gar Gesundheit zuzuschreiben, ist verfehlt und ein Überbleibsel des Anthropozentrismus, der früher einmal die ganze Natur bezogen auf den Menschen hin für „erschaffen“ hielt. Heute wissen wir, dass dies „magisches Denken“ ist und auch nicht mit der holistischen Idee vom Menschen als „Teil des Ganzen“ begründet werden kann.

Was die von Hahnemann postulierte Wirkungszunahme durch Potenzieren angeht, also einen Vorgang, der Verdünnungsschritte der Ursubstanz mit ritueller Verschüttelung verbindet, so ist diese nicht nur nach jeglicher Alltagserfahrung unglaubwürdig. Es würde derart unserem gesicherten Wissen vom Wesen physikalischer und chemischer Alltagsvorgänge widersprechen, dass eben dieses täglich aufs Neue bewährte Wissen und seine Grundlagen verworfen und durch ein anderes Erklärungsmodell ersetzt werden müsste. Einem, das die Alltagsvorgänge (Kaffee wird durch Zugabe von heißem Wasser nicht stärker) und das Potenzierungspostulat von Hahnemann (je stärker verschüttelt und verdünnt, desto wirkungsvoller) gleichzeitig erklären müsste. Dies ist, mit Verlaub, bei größtmöglicher Unvoreingenommenheit schlicht als unmöglich anzusehen. Allein die Behauptung, dies könne möglich sein, beinhaltet die Behauptung, ausgerechnet für die Homöopathie könnten Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden.
Und nein, es gibt auch keine „Information“, „Energie“ oder was immer für die Homöopathie angeführt werden mag, was man aus der Ursubstanz „herausschütteln“ und auf die verdünnte Lösung übertragen werden könnte. Eine „geistige Arzneikraft“ (Hahnemann), die das „Gegenstück“ zur „verstimmten geistigen Lebenskraft“ darstellen sollte, ganz gewiss
auch nicht.

Die „modernen“ Begriffe benutzen die Vertreter der Homöopathie sehr diffus und durchaus nicht der Bedeutung, die diese in Physik und Informatik haben.Warum? Weil Dinge wie „geistige Arzneikraft“ heute nicht mehr ausreichend verfangen dürften.
Dies als Erklärung, wie weit die Homöopathie als „Kunstprodukt“ von „Natur“ und „Natürlichkeit“ entfernt ist. Nichts an ihren Prinzipien geht mit der Natur in Einklang, im
Gegenteil.

Da – und das ist wissenschaftlicher Konsens, außer innerhalb der homöopathischen Welt – die Homöopathie nicht nur bei der Prüfung ihrer Prinzipien auf der Strecke bleibt, sondern auch – wie nicht anders zu erwarten – ganz real bei klinischen Überprüfungen ihrer realen Wirksamkeit, ist es ohnehin verfehlt, ihr einen Platz innerhalb von Medizin in der Erwartung
eines realen medizinischen Nutzens zuzugestehen. Und nein, keine „vielen Studien“, die „eine Wirksamkeit belegen“ ändern daran etwas, denn es kommt auf die kritisch bewertete Gesamtschau der gesamten Studienlage an – und die ist, auch aus der Sicht homöopathischer Forscher, eindeutig: einen
belastbaren Beleg für eine spezifische medizinische Wirksamkeit gibt es nicht.

Eines der Mittel, wenn nicht das Wichtigste, mit dem die homöopathische Interessensphäre den Blick hierauf zu verstellen sucht, ist eben die Verbindung von Homöopathie mit Natur, Natürlichkeit, als (womöglich herausragender) Teil von Naturheilkunde. Diese falsche Verbindung wird durch die Veranstaltung in Traunstein aber geradezu zelebriert. Sie können sich selbst die Frage stellen, ob und inwieweit angesichts der geringen allgemeinen Kenntnisse über Homöopathie in der Allgemeinheit hierin eine bedenkliche Fehlinformation liegt. Vertrauen in die Homöopathie, die keine medizinische Relevanz über Behauptungen (und den berühmten Placeboeffekt und andere Begleiteffekte hinaus) nachweisen kann, ist unangebracht und in mehrfacher Hinsicht problematisch. Darin liegt das Problem u.a. solcher Veranstaltungen.

Es ist nicht ohne Grund geschehen, dass der Bundesärztetag im letzten Monat die Homöopathie aus seiner Musterweiterbildungsordnung gestrichen hat, nachdem dies bereits 12 von 17 Landesärztekammern in ihren verbindlichen Weiterbildungsordnungen vorher schon getan haben. Nicht nur, weil die Homöopathie unplausibel ist. Sondern weil sie nach unserem heutigen Wissen medizinisch keine Relevanz hat. Ihre allzu lange unwidersprochenen Postulate verfangen nicht mehr. Aus guten Gründen.
Niemand soll verwehrt werden, Homöopathie für sich zu verwenden – aber aufgeklärt über deren Hintergründe und wirkliche Relevanz und nicht in einem Kontext, bei dem man sich dem Eindruck überhaupt nicht entziehen kann, Homöopathie sei eine besonders populäre
Form von Naturheilkunde. Allein darum geht es mir und den anderen wissenschaftlich orientierten Kritikern der Homöopathie. Vor allem nicht um eine Beschränkung der PatientInnenautonomie. Diese wird gerade durch fehlende und unzureichende Information beschränkt, es kann sie nur bei wirklich aufgeklärten PatientInnen geben. Und zu aufgeklärten PatientInnen tragen nach meiner Ansicht die 7. Traunsteiner Homöopathietage genau nicht bei, im Gegenteil.

Zur Homöopathie gäbe es noch viel Kritisches zu sagen. Ich hoffe aber, mit diesen Ausführungen den Kern meiner Kritik verdeutlicht zu haben.
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Mit freundlichen Grüßen
Udo Endruscheit


Nachsatz:
Es ist kein Geheimnis, dass ich einer der Sprecher des kritischen Informationsnetzwerks
Homöopathie (INH) bin. Das INH klärt seit 2016 über die wissenschaftlich begründeten
Hintergründe der Homöopathie auf. Es ist ein Zusammenschluss von ehrenamtlich tätigen
Privatpersonen und eine Non-Profit-Organisation im Bereich des Verbraucher- und
Patientenschutzes.
http://www.netzwerk-homoeopathie.info

____________

*weil es über den Placebo-Effekt nicht hinaus wirkt

Über jemseneier

Chiemgauer

Diskussionen

Ein Gedanke zu “Homöopathietage Traunstein – Gemeinsam Unsinn verbreiten.

  1. EM – Effektive Microorganismen, die antioxdantische Wirkung haben – ich bin begeistert!
    Einfach die rostende Heckklappe meines Autos in eine PM – Keramikschüssel legen und das Oxid ist weg? Oder muß ich noch ein paar Globuli ins Scheibenwasser rühren? (Ich liebe mein altes Auto, es soll ihm gut gehen!)

    Verfasst von Lilith | Mai 23, 2023, 1:27 pm

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